Ich war Radfahren genauer gesagt eBiken. Ich bin 14,4 km gefahren – mit Vollunterstützung – und hab dafür 31 mal Daumenhoch auf Strava bekommen und sicher auch ein paar Herzchen auf Facebook. Für mich selbst sieht das schon nach Mitleid aus, obwohl ich weiss, dass ich von Herzen angefeuert werde. Ich wäre so gerne schneller, schlanker, verbissener, aktiver, zuverlässiger, nachhaltiger, disziplinierter oder um es einfacher zu sagen: ich wäre manchmal gerne nicht ich.
Ich träume davon auf Titangravelrennrädern durch Slovenien zu rollen oder beim Rockville im Januar in Cremona auf dem Rad zu sitzen und nicht nur mit Bier zu spritzen. Die Frage ist ob das realistisch ist, oder ob 14,4 km mit dem eBike mein Sport ist.
Das Jahr 2016 kann man ja aus vielerlei Hinsicht gepflegt in die Tonne kloppen. Jeder hat so sein eigenes Drama und von Trump bis Sarah Lombardi war nun auch für jeden die passende Puppe im Horrorkabinett zu finden. Für mich war der Wendepunkt der Tag an dem ich auf einen Schlag das älteste Mitglied meiner Familie wurde. Das ist ein komischer Moment, der erheblich einschneidender ist als ein runder Geburtstag der mit einer furchterregenden Zahl droht. In dieser Sekunde wird die eigene Vergänglichkeit geradezu brutal sicht- und fühlbar. Gefühlt bin ich in das Jahr hinein mit ein bisschen Übergewicht und Kurzatmigkeit und raus gehe ich mit einer Liste von Diagnosen die nicht bedrohlich sind, in ihrer Menge aber bedrohlich wirken. Also wird die Tablette geschmissen und der Ernährungskurs besucht, der Physiotherapeut muss wöchentlich ran, trink keinen Eistee und hör nicht auf den! Ich habe Angst und ich bin ratlos.
Der Fluch den das Internetneuland mit sich bringt ist die Überinformation von allen Seiten – auch von der eigenen. Vor 20 Jahren hätten mich 10 Leute gefragt „na wie geht es so?“ heute schreibe ich öffentlich wie es mir geht. Noch finde ich die Öffentlichkeit okay, nein es ist mehr ich glaube sogar, dass ich nur in der Öffentlichkeit überleben werde, eben länger, als würde ich das alles mit mir alleine ausmachen. Die Nebenwirkungen, wie z.b. die Ungeduld der Anderen, sind manchmal schwer zu ertragen, aber gestern bin ich einfach mal wieder aufs Rad, weil schon so lange nichts mehr in Strava drin war und weil ich endlich Winterklamotten gefunden habe, mit denen das geht.
Schlussendlich tippe ich hier eine Rechtfertigung, vor allen Dingen eine Rechtfertigung mir selbst gegenüber. Vor 14 Jahren in Todtnau haben mir drei Leute ans Ziel der Singlespeedeuropameisterschaften geholfen, weil ich vor Schmerzen nicht mehr laufen konnte. Ich war 23 Kilo schwerer als heute und 3 Wochen später mit einem total kaputten Darm im Krankenhaus. Ich glaube was mich gerettet hat ist Internetradsport. Der Wille zu etwas dazu zu gehören was man alleine nicht schaffen würde. Viele meiner Träume verwirklichen andere für mich, wie Harald der heute Nacht von Hamburg nach Berlin fährt – ja mit dem Rad, ja bei dem Wetter, ja im Dunkeln – und ich fahre mit: auf Instagram.
Danke an alle meine Vorbilder und Vortänzer, ich werde immer nur ein Wanna-be bleiben, aber mein Hamburg – Berlin ist eben 14,4 km lang.
Frohe Weihnachten
phaty
P.S.: ich versuche zwischen gestern und dem 4.1. 200 km Rad zu fahren. Wenn jemand Lust hat auf eine Tagesetappe: ich bin bereit! … und ich kann auch 28,8 km …!